„Höhere Gewalt“ in der Vertragsgestaltung
Die meistens Vertriebs- oder Lieferverträge enthalten Klauseln zur „höheren Gewalt“. In diesen Klauseln wird regelmäßig der Versuch unternommen, den Tatbestand der höheren Gewalt näher zu beschreiben oder zu definieren. Dies ist auch erforderlich, denn weder das deutsche Recht noch internationale Übereinkommen (beispielsweise das UN-Kaufrecht) enthalten konkrete Regelungen dazu, unter welchen Umständen sich eine oder beide Parteien berufen können, von ihren Leistungsverpflichtungen wegen eines Umstands der höheren Gewalt lossagen zu können.
Die Rechtsprechung hat in Deutschland allgemeine Umschreibungen formuliert. Danach kann man von höherer Gewalt sprechen, wenn es sich um ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen war“ handelt. Wenn man diese Umschreibung liest, wird deutlich, dass es dringend erforderlich ist, die einzelnen Tatbestände, die in konkreten Vertragsverhältnis als „höhere Gewalt“ gelten sollen, ausdrücklich benennt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen, Krieg, Terrorereignisse, Aufstand, Embargos, Epidemien und Pandemien … Eine abschließende Aufzählung ist an dieser Stelle nicht sinnvoll, weil die Umstände der höheren Gewalt auch von der konkreten Vertragssituation (welche Länder sind im Rahmen des Vertrages beteiligt, etc.) abhängen. Das Beispiel des „Streiks“ und der „Aussperrung“ macht deutlich, dass es unbedingt erforderlich ist, diese als Gründe für höhere Gewalt zu erwähnen, denn andernfalls ist es keineswegs klar, dass ein Streik und die daraufhin verhängte Aussperrung von Arbeitnehmern von der Rechtsprechung als höhere Gewalt gewertet würde.
Zuletzt hat es auch während der Corona-Pandemie häufig die Frage gegeben, ob eine Pandemie einen Umstand der höheren Gewalt darstellt, wenn dies nicht ausdrücklich geregelt war. In diesen Fällen enthält immerhin das UN-Kaufrecht noch eher als das nationale deutsche Recht einen Hinweis für das Vorliegen von höherer Gewalt. Denn dort heißt es in Art. 79: „Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und es von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen, um den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“
Aber auch dies ist eher eine Umschreibung als eine klare Definition, weshalb es ratsam ist, sich bei der Abfassung der „Höhere Gewalt“-Klausel unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Vertragsverhältnisses Gedanken über entsprechende Fälle zu machen und diese ausdrücklich zu formulieren. Was häufig ganz außer Acht bleibt, sind die weiteren Folgen der höheren Gewalt. Typischerweise enthalten die Klauseln noch Regelungen dazu, dass die Parteien sich von dem Vertragsverhältnis lösen können, wenn der behindernde Umstand eine gewisse Zeit angedauert hat. Aber welche Konsequenzen dies für bereits teilweise erbrachte Leistungen oder Lieferungen hat, wird dann häufig nicht mehr geregelt. Hierüber kann es dann zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommen.