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Neue BGH-Rechtsprechung zu den Aufklärungspflichten im Rahmen einer M&A-Transaktion

30/11/2023
| Florian Roetzer
Neue BGH-Rechtsprechung zu den Aufklärungspflichten im Rahmen einer M&A-Transaktion

Im letzten Newsletter im Jahr 2023 berichten wir über ein kürzlich ergangenes BGH-Urteil, das für die M&A-Beratungspraxis von großem Interesse ist. Eine derart bedeutsame höchstrichterliche Rechtsprechung hat Seltenheitswert, denn Konflikte über Unternehmenstransaktionen werden regelmäßig nicht vor staatlichen, sondern vor den Schiedsgerichten ausgetragen.

Gegenstand der Transaktion waren Gewerbeeinheiten einer Immobilie. Der Käufer erhielt Zugriff auf einen vom Verkäufer eingerichteten virtuellen Datenraum. Drei Tage vor Abschluss des Kaufvertrages ‒ konkret an einem Freitag ‒ stellte der Verkäufer in den Datenraum das Protokoll einer Eigentümerversammlung ein. Aus diesem ergab sich, dass auf den Käufer Kosten von bis zu 50 Millionen Euro für die Instandhaltung der Immobilien zukommen könnten. Tatsächlich wurde dem Käufer nach Durchführung der Transaktion auf Leistung eine Sonderumlage in erheblicher Höhe in Anspruch genommen. Daraufhin erklärte der Käufer die Anfechtung des Immobilienkaufvertrages wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich den Rücktritt vom Vertrag.

In Kauvertrag versicherte der Verkäufer, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftige Sonderumlage ergeben würde, und nach Kenntnis des Verkäufers keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstehen würden, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt sind.

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 15.09.2023 ‒ V ZR 77/22 ‒ geurteilt, dass der Verkäufer seine vorvertragliche Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit dem Kostenumfang für ausstehende Sanierungsmaßnahmen verletzt habe. Bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, bestünde für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind. Danach hätte der Verkäufer den Käufer – auch ungefragt – darüber aufklären müssen, dass bauliche Maßnahmen im Kostenumfang von bis zu 50 Millionen Euro ausstanden. Die Aufklärungspflicht sei nicht dadurch entfallen, dass der Verkäufer das maßgebliche Protokoll drei Tage vor Vertragsschluss in den Datenraum einstellte. Zum einen wurde die Information „versteckt“ in einem Protokoll der Eigentümerversammlung und nicht etwa in einem Sanierungsgutachten zur Verfügung gestellt. Zum anderen müsste der Käufer am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin nicht mehr mit neu eingestellten Unterlagen im Datenraum rechnen.

Damit hat der BGH seine Rechtsprechung zu übergebenen physischen Unterlagen auf Dokumente in einem virtuellen Datenraum übertragen. Nach unserer Auffassung gelten diese verschärften Aufklärungspflichten nicht nur für Immobilien-, sondern für alle Arten von Unternehmenstransaktionen. Verkäufer sind daher gut beraten, den Datenraum für die Due Diligence des Käufers sorgfältig aufzubereiten und diesen über für die Kaufentscheidung wesentliche Umstände frühzeitig und hinreichend eindeutig aufzuklären.

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