Mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung: Angemessene Vorkehrungen zum Schutz von Arbeitnehmern, die ein behindertes Kind betreuen (EuGH, Urteil vom 11.9.2025 – C-38/24)
Sachverhalt
Eine italienische Arbeitnehmerin beantragte eine dauerhafte Anpassung ihrer Arbeitszeit, um sich um ihren minderjährigen, schwerbehinderten Sohn kümmern zu können. Der Arbeitgeber gewährte jedoch nur vorübergehende Anpassungen und sprach anschließend eine Kündigung aus.
Der EuGH hatte bereits in der Angelegenheit “Coleman” (C-303/06) entschieden: Erfährt ein Arbeitnehmer, der selbst nicht behindert ist, durch einen Arbeitgeber eine weniger günstige Behandlung, als sie ein anderer Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation erfährt und ist nachgewiesen, dass die Benachteiligung des Arbeitnehmers wegen der Behinderung seines Kindes erfolgt ist, für das er im Wesentlichen die Pflegeleistungen erbringt, dann verstößt eine solche Behandlung gegen das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 II Buchst. a RL 2000/78.
Neu war in diesem Falle aber die Frage, ob der Arbeitgeber gegenüber einem Arbeitnehmer, der nicht selbst behindert ist, sondern sich um sein behindertes Kind kümmert, angemessene Vorkehrungen iSv Art. 5 dieser Richtlinie treffen muss, um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und des in Art. 2 II Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Verbots der mittelbaren Diskriminierung zu gewährleisten. Hierzu können etwa Anpassungen am Arbeitsumfeld und etwa Arbeitszeitanpassungen gehören.
Entscheidung des EuGH
Dies hat der EuGH unter Verweis auf Art. 2 III der Richtlinie, Art.7 I der UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD) und Art 24 und 26 der UN-Grundrechtecharta bestätigt. Die Definition des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ nach Art. 5 RL 2000/78 zugunsten mittelbar diskriminierter Personen ist im Licht der genannten Vorschriften weit auszulegen. Die Verkürzung der Arbeitszeit kann eine solche Vorkehrungsmaßnahmen darstellen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es auch erforderlich sein, einen Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz zu versetzen.
Wesentliche Einschränkung
Eine wesentliche Einschränkung zugunsten des Arbeitgebers enthält die Entscheidung aber auch:
Die Richtlinie verpflichtet den Arbeitgeber nicht, Maßnahmen zu ergreifen, die ihn unverhältnismäßig belasten würden. Bei der Prüfung der Frage, ob solche Maßnahmen den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, müssen auch der mit ihnen verbundene finanzielle Aufwand sowie die Größe und die finanziellen Ressourcen der Organisation oder des Unternehmens sowie die Verfügbarkeit öffentlicher Mittel oder anderer Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Außerdem setzt die Möglichkeit, eine Person mit Behinderung an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, voraus, dass es zumindest eine freie Stelle gibt, die der betreffende Arbeitnehmer einnehmen kann.