Gerichtliche Zuständigkeit post-Brexit
Unternehmen haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass die Frage, welche gerichtliche Zuständigkeit gilt, wenn ein Geschäftspartner in einem anderen Land der Europäischen Union verklagt werden muss, mit ähnlicher Präzision ermittelt werden kann, wie bei innerdeutschen Auseinandersetzungen (Grenzfälle sind auch hier natürlich nicht ganz auszuschließen). Dies ist den Regelungen der Europäischen Union zur gerichtlichen Zuständigkeit und Vollstreckbarkeit (beides in der sogenannten Brüssel-Ia-Verordnung geregelt) zu verdanken. Sie gilt in der Europäischen Union seit zehn Jahren.
Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union haben sich die Verhältnisse zwischen den EU-Staaten und dem Vereinigten Königreich insoweit jedoch abrupt verändert. Die innerhalb der Europäischen Union maßgeblichen Vorschriften gelten in dem Vereinigten Königreich nicht mehr, es gilt als „Drittland“. Im Zweifel ist auf die nationalen Zuständigkeitsregelungen in dem ein oder anderen Land zurückzugreifen. Dies kann zu sog. asymmetrischen Zuständigkeiten führen; d.h., für ein und denselben Rechtstreit kann ein englisches Gericht bei der Frage der Zuständigkeit zu einem anderen Ergebnis gelangen als ein deutsches Gericht.
Immerhin gibt es für die in der Praxis häufig auftretende Frage, ob eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist, eine Auffangregelung. Denn das Vereinigte Königreich ist dem Haager Gerichtsstands-Übereinkommen nach dem Brexit wieder beigetreten. Zwar behandelt das Haager Gerichtsstands-Übereinkommen nur ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen. Im Zweifel wird aber vermutet, dass es sich bei einer solchen Klausel um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung handeln soll. Die Parteien können auch konkrete Gerichte vertraglich vereinbaren (z.B. das Landgericht Frankfurt am Main). Das Haager Gerichtsstands-Übereinkommen gilt allerdings nur für Klauseln zwischen Unternehmen, nicht für Verbraucherverträge. Verbrauchern, die in Deutschland ansässig sind, kommen grundsätzlich auch noch die Regelungen der Brüssel-Ia-Verordnung zugute; sie können ihren ausländischen Vertragspartner vor den Gerichten an ihrem eigenen deutschen Wohnsitz verklagen. Ob dies sinnvoll ist, ist allerdings davon abhängig, ob ein solches Urteil im Vereinigten Königreich überhaupt vollstreckt werden kann. Dies ist dann im Vorfeld zu prüfen.
Denn die Frage der Vollstreckbarkeit eines Urteils ist im Endeffekt der entscheidende Punkt. Nur wenn diese Frage bejaht werden kann, macht ein Rechtsstreit überhaupt Sinn – es ist schließlich immer damit zu rechnen, dass ein Prozessgegner ein Urteil nicht freiwillig erfüllt und dann ist die Vollstreckbarkeit der Entscheidung von essenzieller Bedeutung.
Infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union haben auch nationale Zuständigkeitsvorschriften, wie beispielsweise die Regelung, wonach ein ausländisches Unternehmen an dem Ort (in Deutschland) verklagt werden kann, wo es Vermögen hat, wieder größere Bedeutung erlangt. Eine Auseinandersetzung zwischen einem deutschen Kläger und einer englischen Bank kann beispielsweise am Sitz der Niederlassung der englischen Bank in Deutschland vor Gericht gebracht werden.
Mehr denn je ist bei Vertragsbeziehungen zwischen deutschen und britischen Unternehmen auf die sorgfältige Gestaltung der Gerichtsstandsklausel zu achten. Als sicherer Ausweg kommen Schiedsgerichtsvereinbarungen in Betracht, denn die entsprechenden Regelungen (insb. das New Yorker Abkommen zur Anerkennung von Schiedssprüchen) sind durch den Brexit nicht betroffen.