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Dürfen Richter googeln?

31/05/2022
| Dr. Thomas Rinne, Johannes Brand. LL.M.
Dürfen Richter googeln?

Ein wesentlicher Grundsatz in deutschen Zivilprozessen ist der Beibringungsgrundsatz. Dieser besagt, dass die Parteien selbst darüber bestimmen, was das Gericht zu hören bekommt. Sie müssen den Sachverhalt aus ihrer Sicht schlüssig schildern und Beweise anbieten. Die Gerichte haben danach kein eigenes Interesse an den Streitigkeiten, die die Parteien ausfechten. Die Parteien bestimmen, was Gegenstand des Prozesses sein soll.

Ergänzt wird der Beibringungsgrundsatz durch die Dispositionsmaxime, die besagt, dass die Parteien nicht nur den Sachvortrag bestimmen, sondern auch durch ihre Anträge den Streitgegenstand. Das Gegenteil von Beibringungsgrundsatz und Dispositionsmaxime ist die Offizialmaxime. Das Gericht nimmt dann eine wesentlich aktivere Rolle ein und ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Das gilt beispielsweise im Strafverfahren.

Einer Entscheidung des BGH vom 27.01.2022 (Az. III ZR 195/20) liegt der Ärger einer Partei über eine etwas zu aktive Rolle des Gerichts in einem Zivilverfahren ohne ausreichende Möglichkeit, sich hierzu zu äußern, zugrunde. Dabei handelte es sich um eines der vielen Verfahren im „Abgasskandal“. Der Kläger nahm die AUDI AG wegen sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB in Anspruch. Der streitgegenständliche Motor stammte aber von der Konzernmutter VW AG. Die AUDI AG verteidigte sich damit, dass sie den Motor nicht entwickelt und hergestellt habe, sie deshalb nicht vorsätzlich gehandelt habe.

Das Gericht berief sich auf ein Organigramm auf der Website der VW AG und auf eine Pressemitteilung auf der Website der AUDI AG. Die dort enthaltenen Informationen wertete das Gericht als offenkundig im Sinne des § 291 ZPO für die Tatsache, dass die Beklagte und die VW AG personell eng verwoben seien. Ein Beweis sei nicht notwendig. Die Beklagte wandte sich mit der Rüge der Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör dagegen. Ihr sei wenigstens die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Sie sei daher in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der BGH gab der Beklagten Recht. Das Berufungsgericht hätte einen Hinweis und die Möglichkeit zur Stellungnahme geben müssen. Zwar sei die Verwertung von Informationen im Internet im Rahmen des § 291 ZPO als offenkundig zulässig, das ändere aber nichts am Anspruch auf rechtliches Gehör.

Das Urteil ist wichtig für Anwälte und für die Parteien selbst. Der Dispositionsgrundsatz ist wesentlich im Zivilprozess. Die Parteien sind wesentlich verantwortlich für das, was im Prozess vorgetragen wird. Wichtig für den Schutz der Rechte der Parteien ist es aber auch, den Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu verstehen und rechtzeitig dafür einzutreten.

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