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Die Bedeutung von Empathie im Zivilprozess

30/06/2020
| Dr. Thomas Rinne, Johannes Brand, LL.M.
Die Bedeutung von Empathie im Zivilprozess

An welchen Anwalt aus dem Fernsehen denken Sie zuerst, wenn Sie einen nennen müssten? An Harvey Specter vielleicht, den charmanten, aber knallharten Verhandler aus der Serie „Suits“? Oder Denny Crane aus „Boston Legal“? Auch wenn es Gegenbeispiele gibt, die Darstellung von Anwälten in der Medienlandschaft spiegelt oft ein bestimmtes Bild wider. Der Anwalt ist dominant, meinungsstark und will unter allen Umständen seine Position durchsetzen.

Der unbedingte Wille, Verhandlungen „gewinnen“ zu wollen, ist dabei aber häufig nicht nur wenig zielführend, sondern kann den Interessen des Mandanten schaden. Denn wer nur auf die „harte Tour“ verhandelt, wird nicht auf die Kooperation der Gegenseite hoffen können. So bleibt häufig nur der förmliche Weg, Streitigkeiten zu klären: vor den Gerichten in langwierigen und teuren Verfahren.

„Litigation and Dispute Resolution“ – so wird das Tätigkeitsfeld eines Prozessanwalts mittlerweile häufig genannt. Und der Begriff beschreibt viel besser, was ein Anwalt leisten muss, der sich auf Konfliktfälle spezialisiert hat. Ein guter Prozessanwalt versucht, Prozesse zu vermeiden. Dabei ist es oft hilfreich, nicht laut, konfrontativ und polternd aufzutreten, sondern auch die Motive und Interessenslage der Gegenseite verstehen zu wollen. Diese Fähigkeit – Empathie – kann häufig dabei helfen, vermeintlich festgefahrene Konflikte zu erkennen und zu lösen. Partnerschaftliches Verhandeln auf Augenhöhe muss dabei gar keine grundsätzliche Geisteshaltung widerspiegeln, sondern lediglich auf der Erkenntnis fußen, dass dem Mandanten so oft besser zu helfen ist als mit der Brechstange.

Auf ähnlichen Annahmen beruht die sog. Harvard-Methode. Entwickelt durch die amerikanischen Rechtswissenschaftler Roger Fisher und William L. Ury im Jahr 1981 hat sie zum Ziel, in Konfliktsituationen konstruktiv und friedlich ein Win-Win-Ergebnis herbeizuführen. Berühmtester Anwendungsfall der Harvard-Methode war das Camp-David-Abkommen von 1978, das später zum Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten führte. Gerade in handels- und gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten kann ein Verhandeln – zumindest grob – nach den Prinzipien der Harvard-Methode zu guten Ergebnissen führen. Denn in solchen Fällen folgt auf den Abschluss von Streitigkeiten kein endgültiger Abschied der Parteien, sondern diese bleiben miteinander verbunden. Gerichtsprozesse können die Konflikte dann nicht lösen, nur entscheiden.

Es kann passieren, dass man bei solcher Verhandlungsführung auf einen Krawallmacher stößt, der alles andere als partnerschaftliches Verhandeln auf Augenhöhe im Sinn hat. Wenn dem so ist, hilft es letztlich nur, dies anzusprechen und schlimmstenfalls die Verhandlungen abzubrechen und den Weg durch die Instanzen zu nehmen. Aber viel häufiger als man annimmt, löst ein empathischer Ansatz Blockaden und sorgt für deutlich bessere Resultate als ein Kampf mit heruntergelassenem Visier. Einen Versuch ist es wert.

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