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Auslegung des Wohnsitzbegriffs im international Prozessrecht

28/06/2024
| Dr. Thomas Rinne, Lidia Minaya Moreno
Auslegung des Wohnsitzbegriffs im international Prozessrecht

In der globalisierten Welt ist der Abschluss von internationalen Verträgen an der Tagesordnung. Problematisch wird es dann, wenn die Parteien diesem Umstand bei der Vertragsgestaltung nicht die nötige Bedeutung beimessen und vergessen, sich über wichtige Fragen wie die Zuständigkeit oder das anwendbare Recht zu einigen. Für diese Fälle bieten die europäischen Verordnungen eine Reihe von Regeln, um diese Fragen zu klären. Die Anwendung dieser Regeln erfordert jedoch manchmal den Rückgriff auf das jeweils anwendbare nationale Recht der Mitgliedstaaten. Das Bild wird noch komplizierter, wenn die europäischen Vorschriften mit einem bestimmten nationalen Gesetz in Konflikt zu geraten scheinen. Ein Beispiel, das dieses Problem sehr gut widerspiegelt, ist das jüngste Urteil des EuGH vom 16. Mai 2024 (Rechtssache C-222/23).

Der in diesem Urteil erörterte Fall, der Anlass zu einer Reihe von Fragen gab, die dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurden, dreht sich um den Begriff des "Wohnsitzes". Dabei handelt es sich um einen sehr wichtigen Rechtsbegriff, da er, wie der EuGH betont, als das allgemeine Kriterium gilt, auf das sich die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 stützen, um die internationale Zuständigkeit zu bestimmen, sofern keine Vereinbarung zwischen den Parteien vorliegt. Allerdings wird in dieser Verordnung nicht präzisiert, was unter dem Begriff "Wohnsitz" zu verstehen ist, so dass die Bestimmung dieses Begriffs im Falle natürlicher Personen dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Eine Bestimmung, deren Anwendung, wie wir in diesem Fall sehen können, zu Auslegungsproblemen führen kann, wenn sie mit der europäischen Verordnung in Verbindung gebracht wird. Diesbezüglich hat der EuGH unter Verweis auf die Rechtsprechung daran erinnert, dass keine nationale Bestimmung "die nützliche Wirkung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 untergraben" dürfe. Dies wäre der Fall, wenn der Begriff "Wohnsitz" mit dem Begriff "Staatsangehörigkeit" verknüpft wird, so dass alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats als in diesem Mitgliedstaat wohnhaft angesehen werden, auch wenn sie sich tatsächlich in einem anderen Staat aufhalten. Das Grundproblem, das sich in diesem Urteil widerspiegelt, besteht darin, dass ein Gericht möglicherweise nicht zuständig ist, wenn das europäische Recht der nationalen Bestimmung zur Festlegung des Begriffs "Wohnsitz" entgegensteht.

Man könnte meinen, dass solche komplizierten Fragen nur bei Streitigkeiten zwischen Unternehmen mit großen Geldbeträgen auftreten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Auffallend an dem betreffenden Urteil ist, dass es sich bei dem ursprünglichen Verfahren, das Anlass für das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH war, um einen Zahlungsanspruch eines Wärmeenergieversorgers für den Wert der an eine Wohnung gelieferten Wärme in Höhe von rund 360 Euro handelte. Die Alltäglichkeit des Falles sollte uns dazu veranlassen, über die Verträge, die wir abschließen, und die wesentlichen Aspekte, die wir in unserem Tagesgeschäft berücksichtigen sollten, nachzudenken.

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