Unionsrechtswidrigkeit der Missbrauchsvorschriften für deutsche Quellensteuern (II)?
In den Ausgaben März 2012 und November 2016 hatte der Verfasser bereits über Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der 2007 eingeführten und 2012 teilweise entschärften Missbrauchsregelung von § 50 d Abs. 3 EStG berichtet. Zweck der Vorschrift ist es, eine unberechtigte Erstattung bzw. Abstandnahme von der Einbehaltung deutscher Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen, Lizenzen etc. an im Ausland ansässige und nicht an einer Börse notierte Gesellschaften durch missbräuchliche Gestaltungen, insbesondere durch die Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften ohne wirtschaftliche Substanz, zu vermeiden.
Auf Vorlage des Finanzgerichts Köln hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun in zwei jüngst veröffentlichten Urteilen vom 20.12.2017 (C-504/16 und C-613/16) entschieden, dass § 50 d Abs. 3 EStG in der ursprünglichen Fassung des sog. Jahressteuergesetzes 2007 mit der europäischen Niederlassungsfreiheit und mit der Mutter-Tochter-Richtlinie unvereinbar ist. Denn die Vorschrift typisiere bestimmte Konstellationen als Missbrauch, ohne dass die deutschen Steuerbehörden einen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft oder ein Indiz für eine Steuerhinterziehung bzw. einen Missbrauch beizubringen hätten. Darüber hinaus sei der ausländischen Antragstellerin auch nicht der Nachweis möglich, dass im konkreten Einzelfall wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für ihre Einschaltung als ausländischer Muttergesellschaft vorlägen, was nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jedoch erforderlich sei.
Auch hinsichtlich der ab 2012 geltenden Fassung hat das Finanzgericht Köln Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50 d Abs. 3 EStG mit dem Europarecht, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und daher mit Beschluss vom 17. Mai 2017 (Az. 2K 773/16) dem EuGH ein weiteres Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt. Eine Reaktion der deutschen Finanzverwaltung liegt bislang nicht vor, laufende steuerliche Veranlagungen sollten daher gegebenenfalls durch Einlegung von Rechtsbehelfen offen gehalten werden.