Rechtschutz gegen die Verweigerung der Auszahlung von Vorsteuerguthaben aus Voranmeldungen während einer laufenden Umsatzsteuersonderprüfung
Unternehmer, die gesetzlich zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet sind, haben die Steuer für den Voranmeldungszeitraum (je nach Sachlage monatlich oder quartalsweise) selbst zu berechnen, spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines Voranmeldungszeitraums beim zuständigen Finanzamt anzumelden und zeitgleich eine sich hieraus ergebene Steuer zu zahlen. Voranmeldungen gelten im deutschen Steuerrecht als sog. Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, wird mit der Voranmeldung ein vom Finanzamt zu erstattender Vorsteuerüberhang geltend gemacht, tritt diese Rechtsfolge erst mit formloser Zustimmung des Finanzamtes ein (§ 168 Sätze 2 und 3 AO). Aus Gründen der Vereinfachung erteilen die Finanzämter aufgrund interner Anweisung allgemein die Zustimmung zu Voranmeldungen in Erstattungsbeträgen bis zu bestimmten Betragsgrenzen (Neugründungen bis EUR 1.000, in anderen Fällen EUR 2.500, während der Corona-Krise zeitweise auf EUR 5.000 angehoben). Höhere Vorsteuerguthaben werden oft nur nach einer Einzelfallprüfung erstattet, nämlich (a) einer Prüfung der wesentlichen Positionen der Voranmeldung durch Anforderung von Belegen, (b) durch Einsicht von Urkunden in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen ohne vorherige Ankündigung (sog. Umsatzsteuernachschau) bzw. (c) nach Durchführung einer sog. Umsatzsteuer-Sonderprüfung.
Aufgrund der stark zunehmenden Anzahl von Steuerverkürzungen und – hinterziehungen im Bereich der Umsatzsteuer, insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen, häufen sich in der Praxis die Fälle, in welchen Finanzämter unter Hinweis auf statistisch relevante Beweisanzeichen für Betrugsfälle Vorsteuerguthaben erst nach umfangreichen und teilweise längere Zeit in Anspruch nehmenden Prüfungshandlungen auszahlen, was für Steuerpflichtige schwerwiegende und gegebenenfalls sogar existenzielle finanzielle Folgen haben kann. Soweit Teile der geltend gemachten Vorsteuerguthaben eindeutig, genau und unmissverständlich festgestellt werden können bzw. unstrittig sind, ist zu empfehlen, noch während des Laufens der Außenprüfung eine Teilauszahlung unter Hinweis auf die Urteilsgründe der Rechtssache Agrobet zu beantragen (EUGH vom 15.05.2020 – C-446/18). In einem jüngst veröffentlichten rechtskräftigen Beschluss vom 13.03.2020 in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Auszahlung von Vorsteuerguthaben hat das Finanzgericht (FG) Hessen (1 V 276/20) die Kriterien definiert, nach welchen Steuerpflichtige auch beim Bestehen von Streit über Art und Umfang behaupteter Vorsteuerguthaben noch während einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung Anspruch auf Auszahlung des geltend gemachten Guthabens haben. Einzelne Indizien, wie etwa die Einschaltung von sog. Vorratsgesellschaften, die statistisch häufig im Zusammenhang mit betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen oder sonstigen Steuerhinterziehungsketten verwendet werden, reichen hiernach für sich betrachtet nicht aus, die Auszahlung von Vorsteuerguthaben zu verweigern.