Neues zu den Kriterien für den Vorsteuerabzug
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG (sowie Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss hierzu ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem zu beurteilenden Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen bestehen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, was nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist.
Zu den objektiven Beurteilungskriterien gehört zunächst primär die im Zeitpunkt des Leistungsbezugs geplante künftige Verwendung der vom Unternehmer erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen („prospektive Betrachtung“). Weicht die spätere tatsächliche Verwendung von der ursprünglich geplanten Verwendung ab, ist zu prüfen, ob der Vorsteuerabzug zu berichtigen ist (§ 15a UStG), weil ein ursprünglich bestehendes Recht zum Vorsteuerabzug spätere Vorsteuerberichtigungen nicht generell ausschließt (vgl. hierzu zuletzt EuGH Urteile vom 09.07.2020 – C-374/19 und vom 06.10.2022 – C-293/21).
In einem jüngst veröffentlichten Urteil vom 07.12.2022 (XI R 16/21) hat der BFH die Rechtsprechung des EuGH bestätigt (vgl. zuletzt Urteil vom 08.09.2022 – C-98/21), wonach ein weiteres objektives Kriterium für die Beurteilung des Rechts auf Vorsteuerabzug auch der Entstehungsgrund des Umsatzes sein kann, also auch die Frage zu stellen ist, ob der Bezug von Gegenständen oder Dienstleistungen kausal durch die unternehmerische Tätigkeit veranlasst war („retrospektive Betrachtung“). Im entschiedenen Fall hatte der Kläger eine Photovoltaikanlage auf dem Dach seines privat genutzten Hauses installiert. Er lieferte den von der Anlage erzeugten Strom umsatzsteuerpflichtig an den zuständigen Netzbetreiber, hatte die Anlage rechtzeitig vollständig seiner unternehmerischen Tätigkeit im umsatzsteuerlichen Sinne zugeordnet und nahm den vollen Vorsteuerabzug für die Anlage in Anspruch. Als festgestellt wurde, dass aufgrund der unsachgemäßen Montage der Anlage das Dach beschädigt war und Feuchtigkeit eindringen konnte, ließ der Kläger den Schaden im erforderlichen Umfang fachgerecht durch einen Zimmerer und Dachdecker reparieren und machte den Vorsteuerabzug aus der Rechnung geltend. Der BFH bestätigte das Recht auf Vorsteuerabzug und stellte fest, dass die auch eigenen Wohnzwecken dienende Nutzung des Hausdachs für den Vorsteuerabzug jedenfalls dann nicht maßgeblich ist, wenn dem Unternehmer über die Schadensbeseitigung hinaus in seinem Privatvermögen kein verbrauchsfähiger Vorteil verschafft wird.
Angesichts der Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des EuGH auch die unternehmerische Notwendigkeit eines Vorgangs nicht dazu führt, dass dieser nicht trotzdem auch privaten Zwecken dienen kann (vgl. Urteile vom 16.10.1997 – C-258/95 und vom 16.02.2012 – C-118/11) ist stets im Einzelfall sorgfältig das Recht auf Vorsteuerabzug zu prüfen und zu dokumentieren.