Keine rückwirkende Rechnungskorrektur bei fehlerhafter Annahme des Reverse-Charge-Verfahrens
Über Möglichkeiten und Grenzen einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung, die insbesondere vor dem Hintergrund der gesetzlichen Verzinsung von Steuerschulden von Bedeutung ist, hatten wir wiederholt berichtet (vgl. hierzu etwa unsere Beiträge zu den Ausgaben Januar und Juni 2017 sowie Mai und Juni 2018 dieses Newsletters).
Zuletzt hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 21.10.2021 in der Rechtssache Wilo Salmson France (C-80/20) bekräftigt, dass das Vorliegen einer Rechnung, die es den Finanzbehörden erlaubt, die (materiellen) Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu prüfen, notwendige Voraussetzung für das Recht zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ist. Der EuGH hat hierbei offengelassen, welche Mindestangaben für die Annahme einer Rechnung im Sinne von Art. 178 Abs. 1 Buchstabe a) MwStSystRL erforderlich sind, klar ist lediglich, dass ein Fehlen von in Art. 226 MwStSystR genannten Rechnungsformalien dem Vorsteuerabzug nicht entgegensteht, sondern solche Angaben jederzeit nachgeholt werden können. Nach Auffassung der deutschen Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen vom 24.04.2021 in der vorgenannten Rechtssache sind fünf Mindestangaben für die Annahme einer Rechnung erforderlich, nämlich Angaben zum Leistenden, dem Leistungsempfänger, dem Leistungsgegenstand, dem Entgelt sowie der gesondert ausgewiesenen Mehrwertsteuer.
In einem jüngst veröffentlichten Urteil vom 07.07.2022 (V R 33/20) hatte sich der Bundesfinanzhof (BFH) mit der Frage zu beschäftigen, ob eine rückwirkende Geltendmachung des Vorsteuerabzugs (mit der sich hieraus eventuell ergebenden Folge der Verzinsung des sich hieraus ergebenden Steuerguthabens) auch dann möglich ist, wenn das leistende Unternehmen in der ursprünglichen Rechnung fälschlicherweise keinerlei deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen hat, weil es als Rechnungsaussteller unzutreffend von der Steuerschuld des Leistungsempfängers (sog. Reverse-Charge Verfahrens) ausgegangen ist. Erteilt ein Unternehmer in der Annahme einer Leistungserbringung im Ausland eine Ausgangsrechnung ohne inländischen Steuerausweis, kann er diese nach Auffassung des BFH nicht in der Weise berichtigen, dass dem späteren Ausweis inländischer Umsatzsteuer Rückwirkung für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers zukommt. Für die dabei erforderliche Berichtigungsfähigkeit der ursprünglich erteilten Rechnung sei erforderlich, dass diese Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält, woran der BFH jedenfalls nach den Verhältnissen des Streitfalls weiter fest hält, so dass eine Rechnung, die nicht über eine inländische Leistung abrechnen sollte und daher keinen inländischen Steuerausweis enthält, nicht mit Rückwirkung berichtigungsfähig ist.
Das vom EuGH in der Rechtssache Zipvit, C-2022/2 erneut bekräftigte Erfordernis des Vorliegens einer Rechnung beinhalte auch eine zeitliche Komponente, so dass der Vorsteuerabzug erst ab dem erstmaligen Vorliegen eines Steuerausweises in der Rechnung möglich sei.