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Inflation, Krieg in der Ukraine und rebus sic stantibus? (II)

28/04/2023
| Enrique Castrillo de Larreta-Azelain
Inflation, Krieg in der Ukraine und rebus sic stantibus? (II)

In unserem Artikel vom letzten Monat haben wir darauf hingewiesen, dass, anlässlich der COVID-19-Pandemie eine doktrinäre und rechtswissenschaftliche Debatte über die so genannte "rebus sic stantibus"-Klausel und ihre Anwendung auf Verträge eröffnet wurde. Wir haben daran erinnert, dass dieser Prinzip besagt, dass Verträge so lange in Kraft bleiben, wie die Bedingungen und Umstände, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung bestanden, stabil bleiben. Wenn sich hingegen die faktischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, die zum Abschluss des Vertrags geführt haben, wesentlich ändern, kann man davon ausgehen, dass die im Vertrag festgelegten Verpflichtungen hinfällig werden.

Unter Hinsicht dieses Prinzips gab es zahlreiche Fälle, insbesondere im Bereich der Vermietung von Geschäftsräumen, in denen eine Herabsetzung des Mietzinses oder sogar eine Befreiung der Verpflichtung zur Mietzahlung gefordert wurde. Die Rechtsprechung in diesen Fällen war äußerst kasuistisch und hat dieses Prinzip in moderater, begründeter und salomonischer Weise angewandt: Viele Urteile sind davon ausgegangen, dass der Mieter zu einer Mietminderung von etwa 50 % berechtigt sein könnte.

Und wir erholten uns gerade von der Pandemie, als unsere Ruhe in der ersten Welt erneut durch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine gestört wurde, der die Inflation auf ein Niveau ansteigen ließ, das wir seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gesehen hatten.

Die juristische Debatte ist also offen: Kann das Prinzip "rebus sic stantibus" aufgrund einer hohen Inflation angewandt werden, wenn diese eindeutig nachteilige Auswirkungen für eine der Parteien hat? Wir sprechen nicht mehr (nur) von Mietverträgen, sondern von allen Arten von Rechtsverhältnissen: Bankwesen (Hypothekendarlehen, Finanzierungen), Zivilrecht, Handelsrecht usw.

Wie es die Doktrin tut, wenn sie keine klare Antwort hat, können wir sagen, dass jede Angelegenheit "von Fall zu Fall" analysiert werden muss. Sicher ist jedoch, dass die Anwendung dieses Prinzips eine Verletzung, eine Nuancierung, eine Anpassung oder wie auch immer man es nennen will, des Prinzips der Rechtssicherheit mit sich bringen kann, der einer der Grundpfeiler unseres politischen und rechtlichen Systems ist. Im Westen leben wir in einer Gesellschaft, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs an soziale, wirtschaftliche und politische Stabilität gewöhnt hat (mehr als 75 Jahre, was zwei Generationen entspricht), die sehr intolerant gegenüber Erschütterungen und Störungen ist und die, wenn sie einmal eingetreten sind, versucht, sie auf jede erdenkliche Weise zu beheben. Und es ist richtig, diese Stabilität bewahren zu wollen - niemand würde sich eine Rückkehr zu früheren Zeiten der Geschichte wünschen -, aber wir sollten uns davor hüten, die grundlegendsten Prinzipien unseres Rechtsstaates, der uns Stabilität, Frieden und Wohlstand garantiert, zu untergraben, um diese behauptete Stabilität wiederherzustellen. Denn das Gebäude kann einstürzen, wenn wir versuchen, eine Wand abzureißen.

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