“Höhere Gewalt” in unsicheren Zeiten
Typischerweise wird den Regelungen zur höheren Gewalt wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere in langfristigen Verträgen – wie beispielsweise Rahmenlieferverträgen – können sie aber in unserer globalisierten Wirtschaft und bei just-in-time-Lieferungen schneller als erwartet Bedeutung erlangen.
Welche Konsequenzen es für die Vertragsparteien hat, wenn eine Partei ihre Leistung in Folge von Natur-katastrophen (Erdbeben, Überschwemmungen, Vulkanausbrüche), Streiks, Generalstreiks, Terrorakten oder kriegerischen Auseinandersetzungen vorübergehend oder absehbar endgültig nicht erbringen kann, sollte nicht dem Zufall überlassen bleiben.
Denn nicht einmal der Begriff “höhere Gewalt“ ist im deutschen Recht gesetzlich definiert. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt höhere Gewalt vor, wenn “ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“ die Leistung einer der Vertragsparteien stört oder unmöglich macht. Der “normale“ Streik fällt nach dieser Definition nicht unter die höhere Gewalt, weil er aus der Risikosphäre der bestreikten Vertragspartei herrührt. Ebenso wenig fallen unter die Definition der höheren Gewalt Probleme bei der Belieferung mit Rohstoffen oder Zulieferteilen aufgrund eines Ereignisses der höheren Gewalt bei dem Zulieferer.
Deshalb ist zu empfehlen, die Situationen, bei denen eine der Vertragsparteien wegen höherer Gewalt ohne Schadensersatzverpflichtung von der Leistungspflicht befreit sein soll, ausdrücklich im Vertrag zu regeln. Allerdings ist bei Allgemeinen Lieferbedingungen Vorsicht geboten, weil die Definition in derartigen Klauselwerken unter Umständen einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegt.