„Forum-Shopping“ im internationalen Insolvenzrecht?
In früheren Beiträgen haben wir insbesondere die Befugnis der Vertragsparteien hervorgehoben, bei internationalen Verträgen den Gerichtsstand zu bestimmen und das auf den Vertrag anwendbare Recht zu wählen. Wir haben auch darauf hingewiesen, dass die Parteien in anderen Situationen, in denen ebenfalls eine Normenkollision vorliegt, wie z. B. bei internationalen Personengesellschaften oder grenzüberschreitenden Erbsachen, die Möglichkeit haben, das auf ihre Angelegenheiten anwendbare Recht zu bestimmen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die betroffenen Parteien bei grenzüberschreitenden Sachverhalten immer in der Lage sind, solche Fragen des internationalen Prozessrechts zu entscheiden. Sie können dies nur dann tun, wenn die einschlägigen Vorschriften dies vorsehen. Im Insolvenzrecht ist dies zumindest auf europäischer Ebene nicht der Fall. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen kann weder der Schuldner das Gericht, bei dem sein Insolvenzverfahren eröffnet wird, das auf dieses Verfahren anwendbare Recht wählen, noch können dies die betroffenen Gläubiger. Diese Fragen werden anhand der Kriterien entschieden, die in den Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren festgelegt sind. Grundsätzlich gilt, dass das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen dem Recht des Staates unterliegen, in dem das Verfahren eröffnet wird (Art. 7), was im Hauptinsolvenzverfahren das Recht des Mitgliedstaats ist, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art. 3).
Problematisch wird es jedoch, wenn Schuldner versuchen, die Anwendung dieser Kriterien zu umgehen, indem sie sich in andere Länder begeben, um dort den für sie günstigsten Gerichtsstand zu wählen, sog. „forum shopping“. Der europäische Gesetzgeber will dies unter anderem dadurch verhindern, dass er in Artikel 3 der Verordnung (EU) 2015/848 festgelegt hat, dass die dort aufgestellten Vermutungen über den „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners“ bei einem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat in den Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Anwendung finden. So kann bei Gesellschaften und juristischen Personen auf den satzungsmäßigen Sitz abgestellt werden, wenn dieser in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht in einen anderen Mitgliedstaat verlegt worden ist (Art. 3). Es spricht also nichts dagegen, als Vermutung einen Sitz zu berücksichtigen, der vor mehr als diesen drei Monaten verlegt wurde; andernfalls würde „forum shopping“ Tür und Tor geöffnet.
Die Möglichkeit einer solchen Verlegung wurde jedenfalls in der Richtlinie (EU) 2019/1023 über Sanierung und Insolvenz anerkannt, auch wenn sie sich auf Unternehmer bezieht.