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Die Causa Pechstein: Beispiel eines tiefgreifenden strukturellen Problems

30/09/2022
| Dr. Sven Wassmer
Die Causa Pechstein: Beispiel eines tiefgreifenden strukturellen Problems

Mit seinem am 03.06.2022 veröffentlichten Beschluss erklärt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein für begründet und gibt ihr nach jahrelanger und nun weitergehender rechtlicher Auseinandersetzung Anlass zur Hoffnung.  Gleichzeitig verdeutlicht die Entscheidung einmal mehr den fortwährenden Konflikt zwischen dem persönlichen Justizgewährungsanspruch des Sportlers, einerseits, und der Autonomie der Sportsgerichtsbarkeit bei der effektiven Dopingbekämpfung, andererseits.

Konkret handelte es sich im Falle Pechstein um eine im Februar 2009 von dem Eislauf-Weltverband ISU verhängte Dopingsperre, gegen die sich die Profi-Athletin zunächst vor dem ausschließlich zuständigen internationalen Sport-Schiedsgericht CAS rechtlich zur Wehr setzte. Dieser bestätigte die Sperre jedoch. Obwohl ihr der Zugang zur ordentlichen Gerichtsbarkeit aufgrund einer für sportliche Wettkämpfe üblichen Schiedsvereinbarung eigentlich verwehrt war, wendete sie sich auf eben diesem Rechtsweg an das OLG München. Die Zuständigkeit der nationalen Gerichtsbarkeit wird nämlich dann begründet, wenn die Schiedsklausel vermeintlich nichtig und die Zugangssperre mithin unwirksam ist. Während das OLG München die Schiedsklausel für nichtig und ihre Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für zulässig erachtete, kam der BGH zum gegenteiligen Ergebnis.

Die gegensätzliche juristische Beurteilung der Schiedsvereinbarungen im Falle Pechstein stellt nur die Spitze des Eisbergs einer tiefgreifenden Problematik dar: Die Spannung zwischen einem uneingeschränkten Justizgewährungsanspruch und einer unabhängigen Sportgerichtsbarkeit fußt auf der Monopolstellung der Verbände gegenüber dem Sportler, der bei Wettkampfantritt faktisch gezwungen ist, sich den Verbandsnormen samt Schiedsvereinbarung zu unterwerfen.

Im vorliegenden Fall stellte das BVerfG einen Verstoß gegen die in Art. 6 EMRK vom EGMR konkretisierten Mindestmaßstäbe des Justizgewährungsanspruchs Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG fest. Konkret rügte es die fehlende Berücksichtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Zwar ist der Ausschluss der Öffentlichkeit in Schiedsverfahren üblich, angesichts der mangelnden Freiwilligkeit des Sportlers bei der Schiedsvereinbarung müssten zur Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes jedoch höhere Maßstäbe für das Verfahren selbst gelten.

Während die Nichtbeachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes als fundamentales Rechtsstaatsprinzips zwar vorliegend zu einer juristischen Überprüfung der Schiedsvereinbarung geführt hat, verhilft der Beschluss dennoch nicht zur endgültigen Konfliktlösung. Die sportrechtliche Zielstellung eines effektiveren Rechtsschutzes der Athleten muss gesetzgeberisch erreicht werden; die rechtliche Stellung des Athleten muss dabei gestärkt und sein Entscheidungsspielraum erweitert werden, ohne die Eigenständigkeit der Sportgerichtsbarkeit zu gefährden.

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