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Alles online? Wie digital ist die deutsche Justiz tatsächlich?

31/01/2022
| Dr. Thomas Rinne, Johannes Brand. LL.M.
Alles online? Wie digital ist die deutsche Justiz tatsächlich?

Die deutsche Verwaltung und die deutsche Justiz werden häufig belächelt – bürokratisch, langsam und unsäglich analog. Das Faxgerät, das in Unternehmen heute teilweise nicht mal mehr vorhanden ist, war lange Zeit die fortschrittlichste Kommunikationsform in deutschen Gerichten.

Langsam, aber stetig wandelt sich das Bild. Auch die coronabedingt notwendige Kontaktvermeidung hat dazu geführt, dass Arbeitsweisen und Kommunikationswege in der Justiz innerhalb der letzten zwei Jahre geändert wurden, wobei zwei Beispiele herausstechen:

  1. Online-Gerichtsverhandlungen

    Schon seit 2002 gibt es den § 128a ZPO, der eine Gerichtsverhandlung „im Wege der Bild- und Tonübertragung“ gestattet. Doch erst die Corona-Pandemie führte dazu, dass von dieser Möglichkeit mehr Gebrauch gemacht wurde. In den letzten zwei Jahren häuften sich die Beiträge von Anwältinnen und Anwälten in sozialen Medien wie LinkedIn, die sie in Robe vor dem Laptop-Monitor zeigten, denn die Verhandlung via Teams, Skype Business oder Zoom ändert nichts an den standesrechtlichen Regeln wie z. B. den Kleidungspflichten.

    Richter wie Anwälte schienen sich mit der Möglichkeit anzufreunden und nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten waren Online-Gerichtsverhandlungen keine Seltenheit mehr. Eine gewisse Skepsis bleibt auf Seiten der Anwaltschaft und der Richterinnen und Richter noch bei Zeugenbefragungen, die sehr auf dem persönlichen Eindruck der Befragten beruhen. Auch die grenzüberschreitende Teilnahme an solchen Verhandlungen ist derzeit völkerrechtlich noch unklar und wird gerade durch die Europäische Union geregelt. Abgesehen davon ist die Online-Verhandlung mittlerweile ein elementarer Bestandteil der deutschen Gerichtswelt und wird nicht mehr verschwinden.
     
  2. Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA)

    Zum 01.01.2022 hat die aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) begonnen. Bis dahin war es aber ein steiniger Weg, der im Jahr 2016 begann. Ziel bei der Einführung des beA war, die Kommunikation zwischen Gerichten und Anwaltschaft zu digitalisieren. Das war damals z. B. in Österreich längst Standard. In Deutschland wurden Schriftsätze aber noch mit allen Anlagen und Abschriften in Papierform, teilweise direkt im Aktenordner, an das Gericht übermittelt.

    Doch das beA funktionierte nicht, wie es funktionieren sollte. Ein Betreiberwechsel und mehrere verschobene Startphasen später startet das beA am 01.01.2022 mit der aktiven Nutzungspflicht, d. h. Anwältinnen und Anwälte müssen nicht nur darüber empfangen, sondern müssen Schriftsätze zwingend digital einreichen, was ein absoluter Meilenstein in einer nicht gerade digital-affinen Zunft ist.

Mit Online-Gerichtsverhandlungen und dem beA ist die Digitalisierung nicht am Ende. Die Arbeit der Gerichte wie der Anwaltschaft kann an vielen Stellen automatisiert und digitalisiert werden. Auch der Einsatz von KI, wie beispielsweise bei maschinellen Übersetzungen, ist nicht fern, wird aber weder Richter noch Anwalt ersetzen.

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