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Die Pandora Papers: keine große Neuigkeit

29/10/2021
| Javier Valls, LL.M.
Die Pandora Papers: keine große Neuigkeit

In diesen Tagen wurden Dokumente mit den Namen bekannter Persönlichkeiten aus der Welt des Sports, der Wirtschaft, der Kunst und vielen anderen Bereichen, die in der Vergangenheit in irgendeiner Weise mit den sogenannten Steueroasen in Verbindung standen, veröffentlicht.

Die Veröffentlichung bzgl. Steueroasen und bekannter Persönlichkeiten ist in Wirklichkeit nichts Neues; im Gegenteil, für einen internationalen Steuerrechtsspezialisten fühlt es sich an, als würde er denselben Film zum wiederholten Mal sehen. Nachfolgend einige Kommentare, um zu verstehen, worüber die Medien sprechen:

Zunächst einmal gibt es keine Definition des Begriffs „Steueroase“. Es handelte sich vor allem früher in der Regel um kleine Länder mit wenigen Einwohnern und einer schwachen Wirtschaft mit geringer Produktivität, ein bisschen Landwirtschaft, Fischerei und vielleicht etwas Tourismus, die von den normalen Kapital- und Investitionsströmen abgeschnitten waren. Die wenigsten wussten, dass sie überhaupt existierten. Sie hatten kein komplexes Steuersystem, weil sie in der Regel auch keine Steuern zu erheben brauchten.

Das änderte sich in den späten 1960er Jahren, als in den USA eine kontinuierliche und regelmäßige Erhöhung der direkten Steuern (Einkommen- und Körperschaftsteuern) zur Finanzierung von Präsident Lyndon B. Johnsons Great Society, des Vietnamkriegs und der Mondexpedition erfolgte. Bis zu diesem Zeitpunkt basierte das Steuersystem nicht nur in den USA, sondern auch in fast allen Industrieländern der Welt, auf Einfuhr- und Verbrauchsteuern. Aber in den 1960er Jahren begann man, über den Wohlfahrtsstaat zu sprechen, der ohne eine Erhöhung der Steuerlast nicht möglich gewesen wäre, denn Sozialstaat bedeutet Steuerstaat.

Die sog. Steueroasen boten ein Produkt an, das sehr erfolgreich wurde, nicht zuletzt mit dem Ziel, indirekt Geld zu verdienen: Vermögen und Einkommen von Menschen aus „reichen“ Ländern im Bankensystem ihrer Länder zu akkumulieren (das wiederum in das Bankensystem der reichen Länder integriert ist, da diese Länder kein alternatives Bankensystem entwickeln), und dafür zwei Vorteile zu bieten: (1) keine oder fast keine Besteuerung des in ihren Ländern angehäuften Reichtums und (2) keine Weitergabe dieser Informationen an die anderen („reichen“) Länder der Welt, die diese Informationen benötigten. Dieses Geheimnis ist sehr wichtig, da das Steuersystem der Industrieländer auf einer weltweiten Einkommensbesteuerung beruht. In der Praxis nützt es einem in Deutschland, Spanien oder den USA ansässigen Bürger ja nichts, wenn er das in einem dieser Länder erwirtschaftete Vermögen oder Einkommen jedes Jahr in seinem Wohnsitzland deklarieren muss. Das Endergebnis ist immer die Steuerlast des Wohnsitzlandes, gegebenenfalls unter Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuern (sog. Kapitalexportneutralität).

Um zu verhindern, dass Gewinne und Einkommen in die sog. Steueroasen transferiert werden, wurden in den 1960er Jahren in den USA Anti-Missbrauchsgesetze erlassen (neue Konzepte wie CFC-Regeln, Unterkapitalisierung etc.) Diese Rechtsvorschriften wurden in Deutschland 1973 mit dem Außensteuergesetz und in Spanien in den 1990er Jahren eingeführt.

Der Anschein tatsächlicher wirtschaftlicher Aktivität als Prinzip

Im Laufe der Jahre ist die Art und Weise, wie das Geld versteckt wird, immer komplexer geworden, aber in Wirklichkeit ist es immer dasselbe: Es wird vorgetäuscht, dass in diesen Ländern eine normale wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, so dass der Eigentümer dieses Vermögens oder Einkommens unter Anwendung eines der Grundsätze des internationalen Steuerrechts, wonach die Besteuerung der unternehmerischen Tätigkeit nur in dem Land erfolgen sollte, in dem sie ausgeübt wird, in seinem Wohnsitzland keine Erklärung abgeben muss (sog. Kapitalimportneutralität, nach Art. 5 und 7 des Musterabkommens zur Vermeidung von Doppelbesteuerung). Zu diesem Zweck wird in diesen Ländern in der Regel eine Vielzahl von Formalitäten erstellt, um den Anschein tatsächlicher wirtschaftlicher Aktivität zu erwecken. Manchmal gibt es kein einziges Dokument, und selbst die Namen der Eigentümer der Unternehmen sind den Verwaltungen dieser Länder nicht bekannt.

Aus Mangel an politischer Priorität sind die Verwaltungen der Industrieländer jahrelang im Kampf gegen die Steueroasen und ihrer Nutznießer nicht aktiv geworden, da häufig das in diesen Ländern gebunkerte Geld am Ende immer in den Industrieländern investiert wird. Es muss auch gesagt werden, dass die Nutzung der Steuersysteme dieser Länder nicht verboten war, auch wenn davon auszugehen war und ist, dass diese Operationen in der Regel zur Steuervermeidung genutzt wurden. Ende der 1980er Jahre begannen einige Veränderungen, die sich jedoch auf die Kontrolle der Geldwäsche aus kriminellen Aktivitäten, insbesondere dem Drogenhandel, beschränkten (wie Tom Cruise in dem Film The Firm sagt: „Wenn du das organisierte Verbrechen bekämpfen willst, dann bekämpfe sein Geld und seine Anwälte.“)

Allmähliche Veränderungen im Kampf gegen Steueroasen

Ende der 1990er Jahre gab es in Europa bereits große Veränderungen, die 2003 in der sog. Zinsrichtlinie zum Tragen kamen. Hiermit wurde zum ersten Mal in der EU ein automatisches und spontanes System des Informationsaustauschs zwischen den nationalen Steuerverwaltungen etabliert, das allerdings auf die Kapitalerträge von Bankeinlagen beschränkt war.

In den letzten 15 Jahren haben sich wichtige Veränderungen vollzogen. Zum ersten Mal bat die USA die Schweiz (eine etwas spezielle Steueroase, die nicht in die oben angeführte Beschreibung passt, da die Welt der Steueroase in der Schweiz parallel zur Welt einer der reichsten und am stärksten industrialisierten Volkswirtschaften der Welt verläuft) um eine Liste von US-Bürgern mit Vermögen, da die USA zwei Besteuerungskriterien gleichzeitig anwendet, was ein Ausnahmefall ist. Die Besteuerung erfolgt auf der Grundlage des Wohnsitzes (wie in EU-Ländern üblich, was bedeutet, dass eine Person mit ihrem weltweiten Einkommen oder Vermögen z.B. in Spanien nicht mehr besteuert wird, wenn sie ihren Wohnsitz in ein anderes Land verlagert.) In den USA hingegen richtet sich die Besteuerung nicht nur nach dem Wohnsitz, sondern auch nach der Staatsangehörigkeit (aus diesem Grund ist es in den USA üblich, dass Personen Staatsangehörigkeiten aus anderen Ländern kaufen und auf ihre US-Staatsangehörigkeit verzichten, um der US- Besteuerung zu entgehen). Die Schweiz weigerte sich, diese Informationen zur Verfügung zu stellen, woraufhin die USA sinngemäß drohten: Entweder Sie liefern die Informationen, die wir verlangen, oder die Schweizer werden nie wieder Zugang zum US-Kapitalmarkt haben oder in unserem Land Geschäfte machen können. Sie werden in der Geschäftswelt ein Paria-Staat sein. Offensichtlich hat die Schweiz klaglos kapituliert. Von diesem Zeitpunkt an wurde mit politischer Unterstützung (innerhalb der OECD) und in Verbindung mit den Änderungen innerhalb der EU zur Ausweitung des automatischen Informationsaustauschsystems eine „schwarze Liste“  von  Staaten  erstellt,  die  mit den  Industriestaaten  „nicht  kooperieren“.  Nach und nach begannen diese Staaten, ihre Politik zu ändern (wie z.B. Andorra), so dass z.B. spanische Richter nun spanische Steuerbetrüger verurteilen können, weil die Unschuldsvermutung aufgrund der Beweise aus Andorra oder anderen ähnlichen Staaten aufgehoben wird. Früher war dies nicht möglich.

Die jüngsten Veränderungen gehen in zwei Richtungen: (1) Verfolgung der politischen Korruption (Anhäufung gestohlener oder unterschlagener Gelder in vielen Ländern durch frühere Machthaber oder Beamte) und (2) Zerstörung des Anscheins der wirtschaftlichen Aktivität vieler Unternehmen, die in diesen Steueroasen ansässig sind. So erging es Messi, dem Schriftsteller Ildefonso Falcones (Autor der „Kathedrale des Meeres“), dem Schauspieler Imanol Arias und vielen anderen in den unterschiedlichsten Ländern. Entscheidend ist stets die wirtschaftliche Betrachtungsweise („substance over form“), d.h. im Steuerrecht kommt es nicht auf den Schein, sondern auf die Wirklichkeit an.

Die kürzlich veröffentlichten Pandora Papers sind nicht die ersten ihrer Art, denn schon vor etwa 10 Jahren wurden vertrauliche Informationen zu teils jahrelang zurückliegenden Transaktionen veröffentlicht, die aus Schweizer Banken gestohlen worden waren. Allerdings wurde dieses Mal auch die Namen der betroffenen Personen veröffentlicht.

Schlussendlich gibt es noch einen Aspekt, der noch nicht diskutiert wurde: Die Rolle der Rechtsberater bei diesen Transaktionen, die sich fast alle in den Industrieländern befinden (die Rechtsberatung in den Steueroasen ist oft nicht vorhanden oder sehr einfach und beschränkt sich in der Regel darauf, einige Gebühren für die in den Büros der Industrieländer getroffenen Entscheidungen zu verlangen).

Im Übrigen sind die Pandora Papers, da sie illegal beschafft wurden, sehr wahrscheinlich nicht geeignet, um einen Steuerzahler in Spanien zu verurteilen. Klar ist jedoch, dass die Steueroasen nicht mehr so angesagt sind wie noch vor vielen Jahren. In jedem Fall ist eine Veränderung zu verzeichnen, von der wir noch nicht wissen, in welche Richtung sie in Zukunft gehen wird.

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